Können können

Jeder kennt es: Denken und Fühlen können oft widersprüchlich sein. Das merken wir ständig:  Ich weiß, dass ich besser schlafen gehen sollte – stattdessen bleibe ich zu lange auf und esse Süßigkeiten. In wie vielen Situationen tritt die Vernunft bei Seite und macht zum Beispiel dem Gefühl der Gier, der Wut oder der Angst Platz. Und danach wundert man sich über sich selbst…

Diese Situationen sind der Beweis

… der Beweis dafür, dass unser Kopf nicht als Sonnenkönig, quasi autonom, regiert.

Nun kann man sich darüber ärgern – bringt halt nichts.

Aber warum ist das so?

Werfen wir mal einen Blick auf die Zeit, in der wir noch nicht wirklich sprechen konnten. Damals konnte sich unser Gehirn Erinnerungen gar nicht oder nur in vereinfachter Sprache merken. Um zu lernen, war es für das kleine menschliche Wesen unglaublich wichtig seine Erkenntnisse in Form von Gefühlen abzuspeichern. So begann das zu wachsen, was wir heute „unser Bauchgefühl“ oder „unser Unterbewusstsein“ nennen. Als nette, anschauliche Metapher umschreibt der Begriff „das innere Kind“ unbewusste Gefühle bzw. implizite Anteile, die in jedem von uns in allen möglichen Situationen wirken. Nicht ausschließlich, aber vorwiegend, in den ersten sechs Lebensjahren speicherten wir auch immer mal wieder Erkenntnisse in Form von kleinen Sätzen – den Glaubenssätzen – ab. Ein Glaubenssatz ist psychologisch betrachtet eine tiefe Überzeugung, die eine Einstellung zu uns selbst oder zu unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ausdrückt. Aus diesen „unseren ältesten Wahrheiten“ über uns und andere formten sich dann die intakten Anteile unseres Selbstwertgefühls und ebenso die Selbstschutzstrategien. Diese Schutzmechanismen sind wichtig. Sie haben vor allem die große Aufgabe, uns zu helfen, mit unangenehmen Gefühlen klarzukommen.

Manchmal können sie aber auch ganz schön lähmen, ärgern und uns im Weg stehen.

Die Macht des Impliziten

Nicht nur wir haben unbewusste Glaubenssätze und Selbstschutzstrategien – selbstverständlich haben die auch unsere Eltern.

Für das kleine Kind sind die Eltern die Welt – nicht zuletzt, weil sie für es überlebensnotwendig sind. Vater und Mutter sind der Fixstern, von dem man alles lernen kann, denn: „So wie sie will ich auch sein.“ Dieser starke Wunsch führt dazu, dass Kinder alles ungeprüft von den Eltern aufsaugen. Eben auch alte Verletzungen und toxische Glaubenssätze der Eltern werden aus Liebe übernommen. Wenn eine Mutter, sobald sie einen Hund in der Ferne auch nur erahnt, in den Kampfmodus geht, liegt es auf der Hand, dass dieses Verhalten ihr Kind prägt. Auch wenn dieses Kind nie gebissen wurde, denkt es dann im Erwachsenenalter: „Achtung – Gefahr im Verzug.“, sobald ein Hund irgendwo auftaucht. Einverstanden? Wenn das bei so offensichtlichen Zusammenhängen logisch erscheint, liegt da nicht die Vermutung nahe, dass ein Kind noch mehr übernimmt? Ohne zu prüfen, ob es dadurch geschwächt oder gestärkt wird – einfach nur aus Bewunderung und Liebe? Und auch diese tiefen Überzeugungen sind in uns verankert und natürlich nicht immer, aber manchmal machen sie uns zu schaffen – manchmal sogar viel zu sehr.

Der innere Filter

Diplom – Psychologin Stefanie Stahl sagt, wenn man von Schicksalsschlägen absieht, gehen die meisten unserer Probleme, wie zum Beispiel Beziehungsprobleme, aber auch depressive Verstimmungen, Perfektionismus, Stress, Zukunftsangst, Zwangshandlungen und Panikattacken auf die Prägungen unseres „inneren Kindes“ zurück – mit anderen Worten unseres Selbstwertempfindens.

Da das „verletze, labile innere Kind“ nicht im kognitiven Teil unserer Wahrnehmung, sondern irgendwo im Körpergedächtnis auf Gefühlsebene ist, regiert dieser „little master“ einfach von Zeit zu Zeit, wenn es angeblich die Situation erfordert, aus dem Untergrund. Glaubenssätze wie „Ich bin dumm.“, „Ich bin hilflos.“, „Ich bin es nicht wert.“ mögen beim ersten Hinhören wunderlich und absurd klingen. Und doch wirken sie im Verborgenen, dem Impliziten, weil wir sie einmal als wichtige Erkenntnis abgespeichert haben. Diese Gedanken sind Teil des Filters, mit dem wir unsere Welt sehen – unabhängig davon, ob wir diese Glaubenssätze kognitiv anerkennen oder nicht. So ähnlich wie mit einem Kratzer in der Brille. Dieser Kratzer wirkt sich unweigerlich auf unsere Wahrnehmung und die Bedeutungen aus, die wir bestimmten Menschen und Situationen geben aus. Darum gibt es diese immer wiederkehrenden Momente, in denen man tut, was man gar nicht wirklich tun möchte und meist vor allem sich selbst schadet. Ist einfach so.

That´s where the magic happens

Situationen und Begegnungen können in uns blitzschnell Gefühle auslösen, die uns quasi kapern und unser Denken und Handeln steuern. Fordert das „innere Kind“ seinen Tribut, dann setzt unser Bewusstsein erst bei der Reaktion – zum Beispiel der Angst oder der Wut – ein. Der Auslöser bleibt der große Unbekannte. Erwachsene, die einen guten, liebevollen Zugang zu ihren inneren Motiven, Gefühlen und Gedanken haben, können diese in einen psychologischen Zusammenhang zu ihren Taten bringen.

Durch die Brille der eigenen Glaubenssätze konstruieren wir unsere Wirklichkeit. Der Mensch, der einen Tunnel zu seinem „inneren Kind“ gebuddelt und das Licht wieder angeknipst hat, bekommt die Freiheit aus dem Programm auszusteigen bzw. es für sich zu nutzen. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit und damit seine Gedanken, Gefühle, Handlungen und Möglichkeiten können so auf fast magische Weise verändert werden und schlafende Ressourcen erwachen. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein – ist aber der aktuelle Stand der Hirnforschung und Grundelement des St. Gallener Coaching- Modells.

Beziehung ist, wie wir alle wissen, kein Aufzug – auch nicht die zum eigenen Impliziten. Manchmal braucht es erprobte Methoden und bewusste Zeitfenster, um diese Art der Beziehungsarbeit effektiv im Alltag möglich zu machen und damit wieder in der eigenen Kraft zu leben.

 Beate Gerdmann

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